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Gewaltförmige Konflikte: Ursachen, Verlauf und Lösungsansätze im Licht der Geschlechterverhältnisse

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Gewaltförmige Konflikte: Ursachen, Verlauf und Lösungsansätze im Licht der Geschlechterverhältnisse

Einführung zum Fachgespräch

Gitti Hentschel

Wie können, wie sollten von externen Akteuren wie etwa der Heinrich Böll Stiftung Demokratisierungsprozesse in Krisenregionen und in fragilen Staaten gefördert werden? Wie können Krisen und gewaltsame Konflikte mit zivilen Mitteln bewältigt und überwunden werden? Was sind ihre Gründe und Hintergründe?

Wenn diese Fragen in politischen oder wissenschaftlichen Fachkreisen erörtert werden, wird in der Regel eine Palette von unterschiedlichen Faktoren einbezogen, die als gewaltfördernd oder – mit Blick auf die Lösungsstrategien - gewaltmindernd angesehen werden: die ökonomischen Bedingungen, politische Verhältnisse, Interessensgegensätze und Machtkämpfe unter verschiedenen politischen oder nach Ethnie, Kultur oder auch Religion unterschiedene Gruppen, je nach Kontext auch Fragen der Ökologie. Im UN-Kontext werden Armut und Bedrohung durch Krankheiten als zentrale Sicherheitsgefährdungen des Weltfriedens benannt, in der EU rangiert der internationale Terrorismus auf Platz 1 der Bedrohungen und Risken, danach kommen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, regionale Konflikte, der Zerfall von Staaten in einzelnen Weltregionen, schließlich die sich dort entwickelnde organisierte Kriminalität.i

Regelmäßig ausgeblendet aber wird der Aspekt und die Frage: Welche Bedeutung haben die Geschlechterverhältnisse für den Frieden in einer Region, für die Sicherheit der Menschen, für die Entstehung und den Verlauf von Konflikten? Inwiefern kann eine Verschiebung in den Geschlechterbeziehungen in einer Gesellschaft ein Sicherheitsrisiko darstellen? Entsprechend ist die Geschlechterthematik auch kein Thema, wenn es darum geht, Strategien der Konfliktlösung und der Förderung von Demokratieprozessen in Nachkriegsregionen oder in anderen instabilen Staaten zu entwickeln. Bestenfalls wird dabei noch an die Partizipation von Frauen gedacht – ob sie dann auch wirklich und vor allem gleichberechtigt teilhaben, ist allerdings schon eine andere Frage.

Tatsächlich spielen Frauen beim Wiederaufbau von Gesellschaften und bei der Wiederherstellung bzw. bei der Entwicklung demokratischer Verhältnisse eine wesentliche Rolle. Wo Frauen zum Beispiel bei Friedensverhandlungen entscheidend beteiligt waren, hat sich der Charakter der Verhandlungen verändert, es wurden schneller nachhaltige Ergebnisse erzielt. Diese Erkenntnis, u.a. aus UN-Studien, hat in nationale und internationale Politikkonzepte immerhin insofern Eingang gefunden, als in Nachkriegsregionen Fraueninitiativen und regionale Infrastukturmaßnahmen, die Frauen einbeziehen, gezielt gefördert werden.

Allerdings hat dies nichts daran geändert, dass die zentralen Entscheidungen über Krieg und Frieden noch immer fast ausschließlich von Männern getroffen werden. Ob bei Friedensverhandlungen und in der Krisenprävention, von der obersten, der Entscheidungsebene sind Frauen noch immer weitgehend ausgeschlossen. Sicherheitspolitik ist noch immer weitgehend eine Männerdomäne. Wir können das z.Z. an den Kosovo-Verhandlungen nachvollziehen, die bereits – bisher ohne Ergebnis – in die 4. Runde gegangen sind – hier sind die Frauen komplett außen vor, obwohl es gerade von politisch aktiven Frauengruppen Vorschläge für Lösungen gibt.

Aber: selbst wenn Frauen – schon aus demokratischen Erwägungen heraus – tatsächlich mehr und gleichberechtigt beteiligt würden, würde das noch nicht automatisch bedeuten, dass auch die Geschlechterverhältnisse als Faktor von Krisenentwicklungen und Konflikten oder auch für Demokratisierungsprozesse in Analysen und Lösungsszenarien einbezogen würden. Es ist leider ein weit verbreiteter Irrtum, nach dem die Einbeziehung von Frauen mit Geschlechterperspektive gleichgesetzt wird.

Geschlechterperspektive heißt jedoch sehr viel mehr: Es heißt, die Beziehungen und Dynamiken zwischen den Geschlechtern in einer Gesellschaft in den Blick zu nehmen und bei der Frage nach der Entstehung und nach dem Verlauf von Konflikten zu berücksichtigen. Wir wissen aus der sozial- und politikwissenschaftlichen Geschlechterforschung, und der feministischen Friedens- und Konfliktforschung seit langem, dass die Geschlechterbeziehungen, die jeweiligen vorherrschenden Rollenbilder von Männern und Frauen und vor allem auch die Veränderungen dieser Beziehungen und damit einhergehend der Geschlechteridentitäten Einfluss auf gesellschaftliche Krisen und Konflikte haben.

In einer Gesellschaft, in der Männer zum Beispiel massenhaft erwerbslos werden und ihre traditionelle Männerrolle nicht mehr wie gewohnt ausüben können, während die Frauen ihren herkömmlichen Familien – und Versorgungstätigkeiten weiterhin nachgehen, verschieben sich Geschlechterbeziehungen und Geschlechterkonstruktionen, sind bestehende Geschlechteridentitäten gefährdet, und das Risiko für Krisen und Konflikte steigt. – Das ist z.B. für Ex-Jugoslawien analysiert worden. - Natürlich spielen dafür, dass daraus gewaltsame Konfliktaustragungen werden, eine Reihe anderer Faktoren eine Rolle, und es gilt jeweils zu analysieren, in welchem Verhältnis diese Faktoren zueinander stehen. Wie wirken sie aufeinander? Und wie lässt sich, wenn man diese krisenhafte Entwicklung erkennt, diese Erkenntnis zur Krisenbewältigung und zur Förderung von Demokratisierungsprozessen ein- und umsetzen?

Darüber wissen wir noch immer sehr wenig. In diesem Bereich fehlen systematische Studien und Analysen weitgehend. Mit gendersensiblem Blick lässt sich zwar vorstellen, dass es erhebliche Auswirkungen hat, wenn z.B. waffentragende Ex-Kombattanten in Afghanistan oder im Kosovo, zu deren Männlichkeitsbild der Besitz von Waffen traditionell dazu gehört, dazu genötigt werden, ihre Waffen abzugeben, noch dazu unter Aufsicht ausländischer Militärs, die selbst wiederum eine Waffe tragen. Aber was das langfristig für die Identitätsfindung eines afghanischen Exkämpfers oder Kosovaren ausmacht, und wie hier negativen Auswirkungen entgegen zu steuern ist, darüber gibt es keine systematischen Studien und Untersuchungen. Oder wie sich auf diese, traditionell patriarchal denkenden Männer auswirkt, wenn ihre Frauen im Kontext von Förderprogrammen unterstützt und deren Selbständigkeit gefördert wird. Diese Problematiken werden bisher auch kaum in der zivilen oder militärischen Konfliktbearbeitung thematisiert. In diesem Kontext gibt es generell zu wenig Ansatzpunkte und Programme.

Denn es muss doch alle, die in diesem Bereich Verantwortung tragen und an Entscheidungen beteiligt sind, umtreiben und sie zu neuen Fragen und Zugängen führen, wenn zugleich bekannt ist, dass in der Regel fünf Jahre nach einem Friedensabschluss gewaltsame Konflikte wieder aufbrechen.

Das Feministisches Institut der Heinrich Böll Stiftung hat sich nach dem11/9/2001 und der Intervention in Afghanistan zur zentralen Aufgabe gemacht, Fragen der Friedens- und Sicherheitspolitik aus einer feministischen Perspektive heraus aufzugreifen und in den Mittelpunkt seiner Arbeit zu stellen. Friedens- und Sicherheitspolitik ist auch ein wichtiges Arbeitsfeld in der hbs insgesamt – wenn auch hier die Bedeutung der Geschlechterverhältnisse nicht immer berücksichtigt wird.

Was bedeutet es für den Weltfrieden, für die Sicherheit und die Sicherheitspolitik, - national und international - wenn die eine, weibliche Hälfte der Gesellschaft von zentralen Entscheidungen und Strategiebildungen in der Politik ausgeschlossen bleiben, nicht beteiligt sind? Was heißt Sicherheit in der und für die Politik, für politisches Handeln unter dem Geschlechteraspekt? Wie muss, wie könnte Sicherheit neu, anders definiert werden? Wie sind die Geschlechterbeziehungen verschränkt mit anderen Konfliktfaktoren? Welche Rolle spielen sie für den Verlauf von Krisen und gewaltsamen Auseinandersetzungen einerseits, für die Konfliktbearbeitung andererseits?

Diesen Fragen gehen wir in Workshops, auf Konferenzen und Fachtagungen nach, wir haben dazu auch ein Promotionskolleg initiiert, das 2. Gunda-Werner-Kolleg, das zu „Genderdynamiken in gewaltförmigen Konflikten“ arbeitet und unter der Leitung von Dr. Christine Eifler an der Universität Bremen angesiedelt ist.

Wir haben dazu im Kontext einer Expertinnenarbeitsgruppe ein Positionspapier erarbeitet, das seit Ende vorliegt und womit wir unsere Kritik, aber auch Politikperspektiven zur aktuellen friedensund Sicherheitspolitik zur öffentlichen Diskussion stellen wollen.

Wir arbeiten in diesem Kontext auch mit in der Steuerungsgruppe des deutschen Frauensicherheitsrats, der sich auf die Agenda gesetzt hat, der UN-Resolution 1325 nicht nur in Deutschland, sondern auch im europäischen Kontext Geltung zu verschaffen. Einer Resolution, die allen Staaten vorschreibt, die Partizipation von Frauen in der Friedens- und Sicherheitspolitik auf allen Ebenen zu realisieren, und die Geschlechterbeziehungen hier einzubeziehen.

Dabei orientieren wir uns unter anderem an Mary Caldor:

Der Politik des Ausschlusses gilt es alternative, zukunftsorientierte, kosmopolitische Maßnahmen entgegenzusetzen, die die Kluft zwischen Globalem und Lokalem überwinden und Legitimität auf der Grundlage demokratischer, auf Einbeziehung zielender Werte neu aufbauen.“ii

Endnoten:
i Europäische Sicherheitsstrategie, I., S. 3-5
ii Kaldor 2000, S.22

Foto: Stephan Röhl - Bestimmte Rechte vorbehalten

 

Gitti Hentschel

Institutsleiterin
Fon: +49 - (0)30 - 285 34-122
E-Mail: hentschel@boell.de

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